Leserbrief nach der Siko
Helmut Groß, Bad Tölz 11.02.09
Leserbrief zur Berichterstattung über die Gegenaktionen zur „Sicherheits“-Konferenz in der SZ vom 09.02.09
Wer sie liest, sieht mehr, verkündet die Süddeutsche Zeitung vollmundig in der Werbung. Aber was muss man feststellen, wenn man die Berichte über die Demonstration und die Friedenskonferenz am Wochenende in der Montagsausgabe liest? Sie stellt sich auf die Seite des (NATO)-Kaisers, registriert wohlwollend dessen schöne neue Kleider (Ischinger, Obama...) und diffamiert das (SiKo-Gegner)-Kind, das darauf besteht, dass der Kaiser immer noch nackt ist, wahlweise als linksextremistisch (die Demo) oder naiv (die Friedenskonferenz). Sie vernebelt also die Sicht der Leser nach Kräften statt sie zu schärfen. Kein Wunder, dass das „bürgerliche Lager“ auf der Demo nicht sehr stark vertreten ist, wenn dessen renommierteste Medien den nur allzu berechtigten Protest gegen die „Sicherheits“-konferenz“ seit Jahren derart diskriminieren. Statt sich darüber zu erregen, dass ein prominenter Vertreter der einstmals pazifistischen Partei „Die Grünen“ noch soviel Vernunft und Moral besitzt, sich nach wie vor mit den Konferenzgegnern zu solidarisieren, hätte die SZ beispielsweise vor allem ihre jüngeren Leser informieren können, für welche monströsen Kriegsverbrechen in Vietnam und anderswo der von Herrn Ischinger mit der Friedensmedaille geehrte Henry Kissinger mitverantwortlich war. Und sie hätte darüber berichten können, dass von den Konferenzgegnern auch ein US-Amerikaner geehrt wurde: der Irakkriegsdeserteur Andre Shepherd, der wegen der ihm drohenden Gefängnisstrafe um politisches Asyl in Deutschland kämpft – ein spannendes Thema- aber offenbar nicht für die SZ. Stattdessen wird die Friedfertigkeit von Menschen in Frage gestellt, die die mörderische Kriegspolitik Israels kritisieren, etwas, was die israelische Friedensbewegung seit vielen Jahren von der Weltöffentlichkeit und gerade auch von Deutschland fordert.
Eine unbefangene und um Sachlichkeit und Neutralität bemühte Berichterstattung und Kommentierung würde wohl auch zu dem Ergebnis kommen, dass es bei der „Sicherheits“-konferenz ausschließlich um militärische Sicherheit bzw. um die Sicherung militärischer Überlegenheit der NATO geht – und um die Sicherung der Profite der Rüstungsindustrie, die andernfalls wohl kaum als Sponsoren dieser Veranstaltung auftreten würden. Auf der anderen Seite geht es bei der Friedenskonferenz immer um einen weitaus umfassenderen und nachhaltigeren Sicherheitsbegriff, der auf sozialer Sicherheit, wirtschaftlicher Gerechtigkeit und der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen gründet. Nimmt man dieses Verständnis von Sicherheit als Maßstab, so fällt die Bilanz der NATO-„Sicherheits“-politik der letzten 20 Jahre verheerend aus – auf jeden Fall dort, wo sie militärisch interveniert hat (Somalia, Kosovo, Irak, Afghanistan).
Insofern sind die SiKo-Gegner nicht deshalb „gefährlich“, weil sie realitätsfern sind, sondern weil sie vielmehr um eine sehr realistische Sicht der Dinge bemüht sind und deswegen die Abschaffung der SiKo und der NATO propagieren.
PS. Wenn jemand wie Stefan Handel schon so überheblich die „älteren Damen und ebensolchen Herrn“ auf der Friedenskonferenz belächelt – in anderen Kulturen werden alte Menschen wegen ihrer Lebenserfahrung und Lebensleistung hochgeschätzt - dann sollte er wenigstens ein Mindestmaß an historischem Wissen mitbringen und nicht seinen Wunschtermin für den „ehrenhaften Tod der Friedensbewegung“ auf das Jahr 1982 legen, ein Jahr bevor sie ihren absoluten Höhepunkt erreichte.
Helmut Groß