Hiroshima-Gedenken - Erinnerung und Mahnung
Am 6. August 2009 fand am Münchner Marienplatz die Gedenkkundgebung des Münchner Friedensbündnisses statt:
Hiroshima mahnt
Hier das Manuskript für den Beitrag, den Volker Bialas dort hielt.
Weitere Beiträge siehe beim Friedensbündnis.
Erinnerung und Mahnung
Am Anfang steht die Erinnerung an die Geschichte, an ein schreckliches Geschehen, das uns und den Jüngeren Mahnung bleiben soll.
Am 6. und 9. August 1945 wurden über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki von US-Flugzeugen aus zwei Atombomben gezündet. Wenige Tage später am 15. August 1945 kapitulierte die kaiserliche Regierung Japans. Der 2. Weltkrieg war beendet.
Hunderttausende Menschen wurden getötet, hitzeverdampft, wurden verstümmelt und radioaktiv verseucht. Davon war auch die Physis Nachgeborener in den genetischen Strukturen betroffen. Noch immer sterben Menschen im Atombomben-Hospital von Hiroshima.
Wir erinnern uns an dieses schreckliche Geschehen, nicht nur in Trauer um die Opfer dieses Kriegsverbrechens gegen die Menschlichkeit, sondern auch, weil es die ganze Menschheit betrifft, bis heute.
Das politische Kalkül von Hiroshima
Seit Hiroshima und Nagasaki schwebt die Gefahr eines alles vernichtenden Atomkriegs wie ein Damoklesschwert über der Menschheit.
Oder vielmehr: Diese Gefahr schwebt nicht nur über uns wie ein drohender Schicksals- schlag. Von Anfang an wurde die Atombombe auch als politisches Kalkül eingesetzt:
Zuerst als Mittel der innerstaatlichen Beschwichtigung für den möglichen Einsatz gegen Hitler-Deutschland unter der Befürchtung, Nazi-Deutschland könnte eine derartige Bombe bauen. In den USA hatten dem damaligen Präsidenten Roosevelt zum Bau der Bombe Physiker geraten, unter ihnen auch Albert Einstein, der später ein engagierter Friedenskämpfer wurde und als Vordenker eines globalen Friedens auftrat.
Dann im tatsächlichen Einsatz gegen das imperialistische Japan, gegen die japanische Bevölkerung.
Wo ist hier der politische Hintergrund? Was wurde mit der Zündung der Bomben beabsichtigt?
Schon früh sahen die politischen Führer der USA und ihre Militärs in der Entwicklung der Atombombe im sog. Manhattan-Projekt ein politisches Machtwerkzeug im ideologischen Kampf gegen die Sowjetunion. General Leslie Groves, der Leiter des Manhattan-Projektes bekannte rückblickend im Jahr 1954:
„Ich für meinen Teil hatte bereits bald, nachdem ich die Leitung des Projektes übernommen hatte [im März 1944], nur die Illusion, dass Russland unser Feind war und dass das Projekt auf dieser Grundlage durchgeführt wurde.“ [Joseph Rotblat 1995]
Die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki beendeten also nicht nur auf grausamste Weise den 2. Weltkrieg. Sie waren auch Teil des politischen Kalküls, der damaligen Sowjetunion die überwältigende militärische Macht der USA zu zeigen.
Bis heute ist mit dem Besitz von Atomwaffen dieser unheimliche Nimbus verbunden. Atomwaffen sollen militärische Macht und so auch politische Macht demonstrieren. Das ist eine der Grundlagen der Doktrin der Atommächte, die bis heute die atomare Abrüstung verhindert hat.
Atomare Abrüstung und Vertragspolitik
Dabei ist die atomare Abrüstung seit 1968 auf der internationalen Tagesordnung. Damals unterzeichneten die Atommächte USA, Sowjetunion und Großbritannien den Atomwaffensperrvertrag.
Dieser sog. Nichtverbreitungsvertrag (oder NPT „Non Proliferation Treaty“) ist 1970 in Kraft getreten. Er verbietet es in den Art. I und II, anderen Staaten Atomwaffen zu überlassen und Nichtatomwaffen-Staaten, solche Waffen anzunehmen. Und in Art. VI verpflichten sich diese Staaten, keine nuklearen Waffen zu entwickeln, sofern die Atommächte abrüsten und schließlich diese Waffen abschaffen.
Tatsächlich aber steckt die Vertragspolitik der atomaren Abrüstung in einer tiefen Krise. Das Nichtverbreitungssystem, das schließlich zu einer umfassenden atomaren Abrüstung führen sollte, ist mehr oder weniger gescheitert.
Bereits einige Jahre vor der vertragsfeindlichen Politik von Bush junior erging im Juli 1996 ein Urteil des Internationalen Gerichtshofes, das Ausdruck dieser Krise ist. Dieses Urteil lautet:
Der Einsatz von Atomwaffen, ja bereits die Androhung des Einsatzes verstößt gegen internationales Recht, das in bewaffneten Konflikten Anwendung findet, und verstößt insbesondere gegen Vorschriften und Prinzipien des humanitären Völkerrechts.
[Daisaku Ikeda/ Joseph Rotblat 2007]
Erpressungspolitik mit Nuklearwaffen
Lassen wir die vielfältigen und oft unübersichtlichen Abkommen über Rüstungs-Beschränkungen hier beiseite. Rückblickend bleibt festzuhalten: Die Politik der USA unter Bush junior hat durch die weitgehende Nichtbeachtung bestehender vertraglicher Vereinbarungen und durch ihre Droh- und Gewaltpolitik einer möglichen weiteren Verbreitung atomarer Waffen erst den Weg bereitet.
Die Doktrin des atomaren Erstschlags auch gegen Staaten, die keine Atomwaffen besitzen, wurde unter der Präsidentschaft von Bush wiederbelebt. Offensichtlich wird die Drohung mit Nuklearwaffen als militär-politisches Druck- und Erpressungsmittel benutzt. Eine globale US-Raketenabwehr unter Einschluss von Polen und der Tsche-chischen Republik wäre ein weiterer Schritt der USA, ihre militärische Überlegenheit auszubauen.
Ob der neue US-Präsident Obama eine Wende dieser Politik herbeiführen kann und will, ist gegenwärtig noch nicht auszumachen. Allerdings ist nach der Forcierung der Kriegshandlungen in Afghanistan eine Kehrtwendung der Gewaltpolitik von USA und Nato kaum zu erwarten.
Andererseits hat Obama erst im Juli 2009 mit Präsident Medwedjew in Moskau neue Verhandlungen über strategische Rüstungsbeschränkungen begonnen. Dabei geht es um ein Nachfolgeabkommen für den im Dezember dieses Jahres auslaufenden START-1 Vertrag, also um eine neue vertragliche Vereinbarung über die Obergrenzen atomarer Sprengköpfe und Trägersysteme.
Wird damit vielleicht doch eine neue Vertragspolitik der USA eingeleitet?
Doch sollen etwa 1500 Wasserstoff-Bomben für jede Seite bleiben und vielleicht noch 800 Bomber und Langstreckenraketen als Trägersysteme. Damit ließe sich weiterhin der gesamte Planet verwüsten.
Nur die Reaktion der „neuen Europäer“, wie Bush junior seine Verbündeten in Osteuropa nannte, könnte uns aufhorchen lassen.
In einem offenen Brief forderten sieben ehemalige Staatspräsidenten, unter ihnen Lech Walesa/ Polen und Vaclav Havel/ Tschechische Republik, gegenüber Russland einen härteren Kurs einzuschlagen. [Südd. Zeitung, 17. Juli 2009]
Das ist die Sprache des Kalten Krieges,
der in den Köpfen dieser eifrigen Nato-Befürworter offenbar noch nicht vorüber ist.
Der vergrößerte Atomclub
In den letzten 10 Jahren ist weltweit eine gigantische Aufrüstung erfolgt. Die Nato hat zahlreiche osteuropäische Staaten als Mitglieder aufgenommen und mit modernen Waffen ausgerüstet. Immer mehr Staaten fühlen sich durch die Ausweitung der Nato und durch die Kriegshandlungen im Irak und in Afghanistan in ihrer Sicherheit bedroht.
Der makabre Atomclub, der viele Jahre lang die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates umfasste, hat Israel mit 200-400 Nuklearwaffen, Indien mit ca. 110 und Pakistan mit ca. 120 Sprengköpfen als neue Mitglieder.
Und zwei der früheren „Schurkenstaaten“, nämlich Iran und Nordkorea, streben offenbar ebenfalls den Besitz von Atomwaffen an.
Wir müssen leider feststellen:
Mit dem Ende des Kalten Krieges um 1990 hat nicht eine Ära des Friedens begonnen. Vielmehr hat eine zweite nukleare Periode begonnen. Gegenwärtig wären, wie Jonathan Shell kürzlich erläutert hat, etwa 50 Staaten in der Lage, eine Bombe zu bauen. [Jonathan Shell 2007]
Hinzu kommt das Problem des Terrorismus. Dieser hat seit 2001 ein neues, sozusagen universelles Feindbild abgegeben. Dieses Feindbild wird durch jede Nato-Invasion weiter gepflegt und gefördert. Die von sich gedemütigt fühlenden Individuen ausgeübte Gewalt kann nun in der Tat auf jeden an derartigen Invasionen beteiligten Staat zurückschlagen.
Doch ist Krieg nicht Terrorismus pur? Sind Kriegshandlungen gegen Hochzeitsgesellschaften, die Zerstörung von Dörfern und Krankenhäusern, wie in Afghanistan oder in Palästina, nicht die schlimmsten Terrorakte überhaupt?
Wir jedenfalls können die Lehren des 2. Weltkrieges, die Lehren von Hiroshima und Nagasaki nicht vergessen.
Forderungen
Am Schluss eines Beitrages aus der Friedensbewegung stehen üblicherweise unsere Forderungen.
Doch könnte ich angesichts des Grauens von Hiroshima und Nagasaki und in Anbetracht der überrüsteten Welt im globalen Rahmen keine realistischen Forderungen erheben und nur generell den Wunsch nach Abrüstung und Frieden aussprechen, den wir alle haben.
Zu komplex sind die globalen Probleme, verursacht durch imperialen Größenwahn und Profitgier, durch mangelnde Selbstbeschränkung, gegenseitiges Misstrauen und archaische Rachsucht. Globale Probleme, das sind die weltweiten Probleme von militärischer Hochrüstung, von Umweltzerstörung und Klimaveränderung, von Bevölkerungsexplosion, Verelendung und Migration, zu denen auch die Lebensweise in den hochentwickelten Ländern mit der Wachstumsideologie, mit den ständig neuen Konsumangeboten, aber auch mit geistiger Verarmung und Orientierungslosigkeit, beiträgt.
Ich kann nur darauf vertrauen, dass sich noch immer das vernünftige Denken und Handeln durchsetzt. Die Menschen erfahren immer mehr und immer aufs neue, wohin politischer Irrwitz führt. Das aber wäre meine Hoffnung als die eines Weltbürgers, der sich für das Ganze verantwortlich fühlt, die Hoffnung auf einen globalen Frieden.
Allein als Bürger der BRD unterstütze ich die Forderungen an die etablierten Parteien vor der Bundestagswahl:
Hört endlich auf mit eurem machtpolitischen Gehabe und eurem Verantwortung-
gerede!
Gebt endlich die Politik der nuklearen Teilhabe auf und schafft die Vorausset-
zungen dafür, dass sich kein Soldat der BRD jemals an militärischen Schlägen
mit Atomwaffen beteiligen wird!
Sorgt dafür, dass die Atomwaffen aus Büschel abgezogen werden und macht Deutschland endlich zu einer atomwaffenfreien Zone!
Mehr ist aus der Erinnerung an Hiroshima nicht zu sagen. Die Mahnung aus diesem schrecklichen Geschehen sollte uns immer gegenwärtig bleiben.
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Literatur
Ikeda, Daisaku/ Rotblat, Joseph: Auf der Suche nach Menschlichkeit. Der Buddhist und der Naturforscher im Dialog. München 2007.
Osteuropäer warnen US-Präsident vor Russland, in: Süddeutsche Zeitung 17. Juli 2009, S. 8.
Rotblat, Joseph: Eine atomwaffenfreie Welt: Phantasievorstellung oder Wirklichkeit? In: Freitag, 20. Oktober 1995, S. 3.
Shell, Jonathan: The seventh decade. The new shape of nuclear danger. New York 2007.